kapitel hummer
Dialog 2 Hummer
Ihm: Als junger Mensch sah ich einmal meinem Vater dabei zu, wie er einen Hummer zubereitete. Dieser war noch fangfrisch und strampelte, mit zusammengebundenen Scheren, gar unternehmungslustig in seinem Aufbewahrungskorb herum.
Ihm: "Was für ein lustiger Kerl, ob dies wohl sein erster Besuch hei uns Menschen ist?"
Ihm: (schaut fragend zu seinem Vater... ) "Vater, ich glaube der Hummer möchte uns etwas sagen."
Vater: "Nein, mein Sohn. Dieser Hummer ist einfach nur musikalisch."
Ihm: "Aber schau doch Vater, er strampelt mit all‘ seinen Beinchen und klackt ganz ungeduldig vor sich hin".
Vater: (lachend) "Er tanzt für uns im Walzertakt und singt sein allerschönstes Lied."
Ihm: "Ich wußte, daß er ein sehr lustiger Geselle ist, Vater!"
Vater: "Natürlich mein Sohn, denn schließlich wünscht er sich sehr, daß er auch dir gut schmeckt."
Ihm: "Was für ein netter Hummer. Ob er versteht, wenn ich mich hei ihm bedanke?"
Vater: "Laß‘ es lieber, Sohn. Du würdest ihn nur in Verlegenheit bringen und die Schamröte wurde seinen ganzen Leib bedecken."
Als mein Vater für kurze Zeit die Küche verließ, sprach ich den Hummer an:
"Lieber Hummer, ich weiß, daß ich mich nicht hei dir bedanken soll, aber du tanzt und singst doch so schön. Kann ich mich nicht ausnahmsweise einmal dafür bedanken? Vielleicht ein ganz kleines bißchen nur?
Augenblicklich verstummte des Hummer Tanz und Gesang und irgendwo tief in seinen blauschwarzen Stilaugen glaubte ich so etwas wie Trauer oder Ausweglosigkeit zu entdecken.
"Was hast du nur getan?", schrie mich mein Vater an, dessen Rückkehr in die Küche ich gar nicht bemerkt hatte. "Nun schämt sich der Hummer und wird vor lauter Zorn ganz rot und rasend." Sprach‘s und warf den bewegungslosen Hummer in einen hohen auf dein Gasherd stehenden Topf mit siedendem Wasser.
Ich schämte mich ebenfalls und so sehr, daß mir Tränen über die Wangen liefen und auf den gekachelten Boden tropften. Aus Angst vor weiterem Zorn meines Vaters lachte ich eine tiefe, intensive Entschuldigung in Richtung des Topfes und hoffte, daß diese den Hummer irgendwie erreichen und besänftigen konnte. Ich strengte mich so sehr an, daß neben den Tränen nun auch Schweißperlen an meinem Gesicht herunter liefen und sieh mit diesen zu vermischen begannen.
Ich fühlte, wie meine Gedanken die Wand des stählernen Topfes durchdrangen und durch das siedende Wasser den 1 Hummer erreichten. Als ich die seinen las, ließ die Ausweglosigkeit seiner Musik meine noch junge Seele in den Grundfesten erheben und für eine kurze Ewigkeit verschmolzen meine, sowie des Hummers Qual zu einem gemeinsamen Sein, einer gemeinsamen Existenz. Unfähig einer Bewegung oder eines Lautes vernahm ich das grauenhafte, Geräusch, welches durch die sich panisch bewegenden Hummerbeine am Boden des Topfes verursacht wurde.
Vater: "Siehst du, Sohn? Jetzt tanzt er wieder und mit etwas Glück wird er vielleicht nicht ganz so rot."
Woher kamen nur diese Worte? War es denn etwa der Teufel, vor dem uns der Pfarrer immer in der Sonntagsmesse warnte? Oder war es sogar der liebe Gott, der es jedes Mal zuließ, daß der Herr Pfarrer meine Freunde zusammenschlug, wenn sie in der Kirche unartig waren? Meine wirren Gedanken wurden jäh unterbrochen, als mit einem geradezu gewaltigem Knall der Deckel des Topfes weggeschleudert wurde und wie eine enorme Pforte klang, welche für immer die Tiefen der Hölle verschließt.
Der Ich-Hummer wollte seinem stählernen Sarg entfliehen. Doch das Letzte, was unsere bereits halbgaren Stilaugen in der Menschenwelt erblickten, war eine funktionell designte Küchenzange, welche uns unbarmherzig und entschieden in den siedenden Tod zurücktrieb. Immer und immer wieder. Die Verbrennungen schmerzten sagenhaft und die Brandwunden überzogen unseren ganzen Körper. Die gellen Schmerzen ließen uns erzittern. Bis unser Todestanz in einem schier wahnsinnigem ¾ Takt ein Ende fand und ich alleine mit der Gewißheit in mir zurückblieb, daß diese Einsamkeit niemals mehr schwinden würde.
Vater: "Nun ist er doch noch verdammt rot geworden, mein Sohn. Er hat dir wohl doch nicht mehr verziehen."
Ich aber wußte es besser und mit der Erkenntnis, das Menschsein vollends begriffen zu haben, verzehrte ich anschließend mein eigen Fleisch mit ausgesprochenem Genuß.
Radiosendung 3
Wenn die Heizung nicht real wäre, wäre es hier nicht so heiß. Es ist sehr heiß hier.
Sehr, sehr heiß seisel.
Plastische Chirurgie kann auch bedeuten, daß ich mein inneres Gesicht neu erschaffe und mir somit völlig fremd werde. Es ist dann so, als ob ich in einem weißen Raum wäre und mir nichts mehr zu sagen hätte. Ich würde nur noch aus Ihren klaffenden Mündern sprechseln, sprachseln und die Vibration des nun folgenden Songs mit meinem Geruchsinn erahnem.