Lyrics Heinz Rudolf Kunze

Heinz Rudolf Kunze

Leben Ohne Wiederholung

Als alle Bands das THE vor ihrem Namen strichen

und nur noch Beatles hießen oder Stones,

als gäbe es unbestimmt viele von ihnen,

das war der Anfang vom Ende.

Und als dann dafür alle LKW-Fahrer

Vornamen auf Nummernschildern in die Frontscheiben stellten,

als hießen ihre Brummies UWE oder BERND,

da war er schon wieder, der Anfang vom Ende,

ohne jede Frage.

Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.

Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.

GIBT ES EIGENTLICH NOCH MÄDCHEN,

die erröten können?

Die etwas anzuvertrauen hätten einem Tagebuch

oder überhaupt des Schreibens kundig wären?

(Vielleicht sogar um die Beherrschung des Bindestrichs wüßten?)

Als der deutsche Bindestrich verschwand,

sang- und klanglos wie Maikäfer und ordentlicher Feldhase,

als er aus achtloser Wurstigkeit so hartnäckig versäumt wurde,

daß schließlich auch der Duden seinen Segen gab –

der Duden! Früher ein penibler Landvermesser,

heute die Hitparade des landläufigen Lallens –,

als nichts mehr elegant zwei Hauptwörter verkuppelte,

die somit saugrob aufeinanderknirschen wie in dem

Kaugummigemansche unserer Freunde aus den

United States of Neandertal –

das war, ohne Zweifel, der Anfang vom Ende.

Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.

Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.

In einem Schallplattenladen hing Anfang der 80er Jahre

ein Aushang: »Hiermit gebe ich bekannt, daß ich

keine Gruppe gründen, keine Platte aufnehmen und

nirgendwo auftreten werde. Von mir gibt es nichts zu berichten.«

War das die letzte nennenswerte künstlerische Tat?

Oder der Lehrer aus Kenia, der seit drei Jahren Schluckauf hat,

Tag für Tag, nur nachts nicht, schlafen kann er,

aber immer mit dem Wissen: morgen schüttelt's mich erneut,

wofür ist das ein Zeichen? In wessen Schuppenflechte

juckt das noch? Ich bete jeden Tag

für ein Leben ohne Wiederholung. Ich bete jeden Tag

für ein Leben ohne Wiederholung. Ich weiß,

ich wiederhole mich. Aber was, Rabbi Hinterkopf,

soll ich denn tun?

Berlin, Montag, 22. Januar 1992. Drei etwa 20 Jahre alte Männer

schleppen einen 19jährigen Polen in eine Grünanlage im Bezirk

Tiergarten. Sie stechen ihm mit einer Betäubungsspritze in die

Zunge und versuchen, sie mit einem Messer abzuschneiden. Als dies

nicht gelingt, schneiden sie ein Drittel der Zunge mit einer

Schere ab. Das Opfer kann sich in ein Krankenhaus schleppen.

Er beschreibt seine Peiniger als Skinheads mit Igelschnitt oder

Glatzen. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.

Und dafür, daß ich einmal nur, für eine Nacht,

ausreiten dürfte durch die Lüfte,

über die Dächer auf den bunten Bildern

von Mecki-Kinderbüchern (Mecki, der deutsche

Comic-Igel aus den 50er Jahren,

erfolgreichstes Steiftier aller Zeiten und

Heckscheibentalisman aller Wirtschaftswunderautos,

der mit Micky Mouse soviel gemein hat wie der

brave Soldat Schwejk mit einem Truppenclown in Kuwait oder

Vietnam), einmal nur ausreiten,

für eine Nacht,

über die Schornsteine mit dem Watterauch

aus den Geschichten der Kindheit,

auf einem Honigkuchenpferd.