Leben Ohne Wiederholung
Als alle Bands das THE vor ihrem Namen strichen
und nur noch Beatles hießen oder Stones,
als gäbe es unbestimmt viele von ihnen,
das war der Anfang vom Ende.
Und als dann dafür alle LKW-Fahrer
Vornamen auf Nummernschildern in die Frontscheiben stellten,
als hießen ihre Brummies UWE oder BERND,
da war er schon wieder, der Anfang vom Ende,
ohne jede Frage.
Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.
Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.
GIBT ES EIGENTLICH NOCH MÄDCHEN,
die erröten können?
Die etwas anzuvertrauen hätten einem Tagebuch
oder überhaupt des Schreibens kundig wären?
(Vielleicht sogar um die Beherrschung des Bindestrichs wüßten?)
Als der deutsche Bindestrich verschwand,
sang- und klanglos wie Maikäfer und ordentlicher Feldhase,
als er aus achtloser Wurstigkeit so hartnäckig versäumt wurde,
daß schließlich auch der Duden seinen Segen gab –
der Duden! Früher ein penibler Landvermesser,
heute die Hitparade des landläufigen Lallens –,
als nichts mehr elegant zwei Hauptwörter verkuppelte,
die somit saugrob aufeinanderknirschen wie in dem
Kaugummigemansche unserer Freunde aus den
United States of Neandertal –
das war, ohne Zweifel, der Anfang vom Ende.
Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.
Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.
In einem Schallplattenladen hing Anfang der 80er Jahre
ein Aushang: »Hiermit gebe ich bekannt, daß ich
keine Gruppe gründen, keine Platte aufnehmen und
nirgendwo auftreten werde. Von mir gibt es nichts zu berichten.«
War das die letzte nennenswerte künstlerische Tat?
Oder der Lehrer aus Kenia, der seit drei Jahren Schluckauf hat,
Tag für Tag, nur nachts nicht, schlafen kann er,
aber immer mit dem Wissen: morgen schüttelt's mich erneut,
wofür ist das ein Zeichen? In wessen Schuppenflechte
juckt das noch? Ich bete jeden Tag
für ein Leben ohne Wiederholung. Ich bete jeden Tag
für ein Leben ohne Wiederholung. Ich weiß,
ich wiederhole mich. Aber was, Rabbi Hinterkopf,
soll ich denn tun?
Berlin, Montag, 22. Januar 1992. Drei etwa 20 Jahre alte Männer
schleppen einen 19jährigen Polen in eine Grünanlage im Bezirk
Tiergarten. Sie stechen ihm mit einer Betäubungsspritze in die
Zunge und versuchen, sie mit einem Messer abzuschneiden. Als dies
nicht gelingt, schneiden sie ein Drittel der Zunge mit einer
Schere ab. Das Opfer kann sich in ein Krankenhaus schleppen.
Er beschreibt seine Peiniger als Skinheads mit Igelschnitt oder
Glatzen. Von den Tätern fehlt jede Spur.
Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung.
Und dafür, daß ich einmal nur, für eine Nacht,
ausreiten dürfte durch die Lüfte,
über die Dächer auf den bunten Bildern
von Mecki-Kinderbüchern (Mecki, der deutsche
Comic-Igel aus den 50er Jahren,
erfolgreichstes Steiftier aller Zeiten und
Heckscheibentalisman aller Wirtschaftswunderautos,
der mit Micky Mouse soviel gemein hat wie der
brave Soldat Schwejk mit einem Truppenclown in Kuwait oder
Vietnam), einmal nur ausreiten,
für eine Nacht,
über die Schornsteine mit dem Watterauch
aus den Geschichten der Kindheit,
auf einem Honigkuchenpferd.